„Nicht die gefrorenen Wasser, sondern die schäumenden Ströme sind es, die das Leben tragen und das Heil bringen!“ (Abraham Kuyper
Menschen lieben Kategorien. Politisch ordnen wir uns gerne in links oder rechts, progressiv oder konservativ ein. Selbst für diejenigen, die sich hier nicht eindeutig zuordnen lassen, gibt es eine Schublade: die Mitte! Der gesellschaftliche Graben scheint sich zunehmend entlang dieser Linien zu vertiefen. Auch in der Kirchenlandschaft spiegelt sich diese Tendenz wider, zumindest seit dem Modernistenstreit unter den Katholiken und dem Aufkommen der evangelikalen Bewegung unter den Protestanten vor rund hundert Jahren. Doch wo sollten sich Christen heute positionieren: konservativ oder progressiv?
Konservativ in der Form, progressiv im Inhalt?
Immer wieder treffe ich Christen, die sich in nostalgischen Gefühlen eine Kirche wie vor hundert Jahren wünschen. Sie schwärmen von einem vierstimmigen gemischten Chor, Männer in schwarzen Hosen und weissen Hemden, Frauen in Röcken und weissen Blusen. Sie träumen von einer feierlichen Liturgie, von alten Liedern, romantischen Kirchengebäuden, Glockenläuten und einem Pfarrer im Talar. Gleichzeitig akzeptieren sie – ganz progressiv – jede theologische Anpassung ihrer Kirche an den Zeitgeist. Niemand regt sich auf, wenn aus der Bibel in gendergerechter Sprache vorgelesen wird, die Rede von einer Göttin oder Apostelinnen ist. Es gibt keine kritischen Fragen, wenn gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Kirche gesegnet oder als Ehepaare getraut werden. Niemand ärgert sich, wenn die Pfarrerin in der Predigt Sonntag für Sonntag das Kirchenvolk auffordert, mehr für das Klima zu tun, möglichst vegan zu leben und sich für neue Familienformen zu öffnen.
Besteht das Christentum lediglich im Bewahren eines nostalgischen Traditionalismus und äusseren Formen, unabhängig vom eigentlichen Inhalt? Gewiss nicht. Gott findet Förmlichkeiten sogar abstossend, wenn sie nicht mit Leben und Gehorsam ihm gegenüber verbunden sind (1Sam 15,22; Hos 6,6). Christen sollten einen falschen Konservatismus zurückweisen, der sich mit dem Namen des Christentums schmückt, aber dessen Inhalt und Kraft verleugnet.
Konservativ und progressiv!
Christen sind sowohl konservativ als auch progressiv. Konservativ, weil wir den Glauben bewahren und für ihn kämpfen – dieses unantastbare, kostbare und ewiggültige Gut, das den Heiligen ein für alle Mal anvertraut wurde (Judas 3). Wir wehren uns gegen einen falschen Progressivismus, der unter Berufung auf die Autorität des Wortes Gottes Behauptungen aufstellt, die dort schlicht nicht zu finden sind. Wir lassen es nicht zu, dass das wunderbare Evangelium mehr und mehr zu einem moralischen Appell zur Selbst- und Weltverbesserung zusammenschrumpft und die Rettung durch den Sühnetod des Christus zu einem Tabu erklärt wird. Wir stehen entschieden für die Bewahrung des Evangeliums gegen jegliche Versuche, die unveränderlichen ethischen Grundsätze Gottes zu relativieren oder aufzulösen.
Doch wir sind progressiv, weil wir tote Traditionen kritisch hinterfragen. Wir halten nicht stur am Status quo fest, sondern reformieren stets anhand der unveränderlichen Bibel, was das geistliche Leben hindern oder zerstören könnte. Daher lehnen wir einen falschen Konservatismus ab, der lediglich an Traditionen und Formen festhält und verkennt, dass Gott etwas Neues schafft, das Leben, Veränderung und Rettung bringt! Wir leben progressiv, denn unsere Beziehung zu Gott ist dynamisch und durch kontinuierliches Wachstum geprägt (siehe Kol 1,10; 2Petr 3,18). Als Teil eines unaufhaltsam expandierenden Reiches streben wir vorwärts und bewegen uns auf die Vollendung einer neuen Schöpfung zu, die mit der Auferstehung des Christus begonnen hat.