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BIBLISCHES ZURECHTWEISEN

Die Bibel zeigt uns das Bild einer Gemeinde, die in Harmonie und Liebe funktioniert. Manch ein Christ könnte an diesem Idealbild verzweifeln, weil die Gemeinderealität nicht selten völlig anders aussieht. Lebendige Gemeinschaft untereinander und mit Gott fällt aber nicht einfach vom Himmel, sie muss vielmehr gepflegt werden; sie bedeutet Arbeit, erfordert Rücksicht, braucht Richtlinien und Formen. So wie ein gesunder und starker Körper ein gewisses Mass an Disziplin und Einhalten von Spielregeln braucht, so kommt auch eine gesunde geschwisterliche Gemeinschaft nicht ohne Disziplin und Ordnung aus. Wenn Harmonie und Liebe in der Gemeinde echt sein sollen, dann tun wir gut daran, uns nach Gottes Regeln zu richten.

Verhaltensregeln als Voraussetzung für Gemeinschaft

Das ethische Verhalten des Volkes Gottes lag in der Aussage Jahwes begründet: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott“ (3. Mose 19,2).

Wie dieses heilige Leben aussieht, hat Gott dem Volk im Gesetz klar definiert. Das Halten des Gesetzes garantiert dem Volk Gottes die Gegenwart Jahwes mit all seinem Segen (3. Mose 26,3-13). Alles, was die persönliche Gemeinschaft mit Gott gefährden könnte, muss deshalb gemieden werden. Hier droht einerseits Gefahr von aussen durch fremde Völker (2. Mose 34,15), andererseits muss auch die Gefahr von innen abgewehrt werden, indem bei schwerwiegenden Sünden die betreffende Person aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Israel soll „das Böse aus seiner Mitte entfernen“, da von ihm eine grosse Ansteckungsgefahr ausgeht (5. Mose 13,6; 17,7; 19,19; 21,21; 22,21; 22,24; 24,7). Wie ernst Gott diese Aussage beurteilte, zeigen uns Ereignisse wie 3. Mose 10,1-2; 24,10-23; 4. Mose 11,1-3; 16;16ff; 17,10-15; Josua 7,1-16. 

Die Verbindung vom Alten zum Neuen Bund wird in den  ethischen Verhaltensnormen nicht einfach unterbrochen, sondern fortgesetzt. Auch das geistliche Israel, die Gemeinde (1. Petr 2,9-10), ist in gleicher Weise gefordert, sich durch einen heiligen Wandel auszuzeichnen. „… wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« (1. Petrus 1,15-16). Die Reinheit der Gemeinde Jesu ist demzufolge in Gottes Heiligkeit begründet. In 1. Kor 5,13 zitiert darum Paulus im Zusammenhang mit der Gemeindezucht die atl. Aufforderung an das Volk Gottes „tut den Bösen von euch selbst hinaus!“ Gott verlangt von seinen Kindern die Absonderung von Sünde.

Der Zweck der Gemeindedisziplin

Gestützt auf die alttestamentliche Praxis der Bewahrung der Reinheit von Gottes Volk, legte auch die frühe Gemeinde Jesu Wert auf Zurechtweisung innerhalb ihrer Gemeinschaft. Allerdings ist hier ein markanter Unterschied zur alttestamentlichen Gemeindezucht festzustellen. Während es dort in erster Linie um die Strafe des fehlbaren Gemeinschaftsmitgliedes ging, betont das NT die Vergebung gegenüber dem Missetäter. In Lukas 17,3-4 warnt Jesus seine Jünger:

„Habt acht auf euch selbst: Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn er es bereut, so vergib ihm! Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigt und siebenmal zu dir umkehrt und spricht: Ich bereue es, so sollst du ihm vergeben“.

Gemeindezucht geschieht im Neuen Testament nicht unter dem Aspekt der Strafe, sondern um den Unordentlichen/Fehlbaren in einer Atmosphäre der Vergebung und Liebe zur Busse zu führen und die Reinheit der Gemeinde zu bewahren. Die Gemeindedisziplin geschieht deshalb mit folgender Absicht:

  1. Sie soll Fehlbaren vom falschen Weg wegzubringen (Jak 5,19-20; 1. Joh 5,16-17; Judas 22-23)
  2. Sie soll verhindern, dass eine „bittere Wurzel“ innerhalb der Gemeinschaft  wächst und andere vergiftet. Das Krebsgeschwür würde sich ausbreiten und schliesslich den ganzen Leib zerstören (Hebr 12,15; 1. Kor 5,6-8; Mat 16,6-12; 2. Tim 2,16-17). 
  3. Sie soll eine präventive Wirkung auf andere Christen ausüben (1. Tim 5:20). Das strenge Zurechtweisen der Unordentlichen wird den Rest der Gemeinde zu einer ernsthaften Nachfolge anregen (5. Mose 19b-20; 21,20; Apg 5,11).

Der Bericht der frühen Gemeinde in der Apostelgeschichte zeigt uns, wie ernsthaft die Apostel die Gemeindedisziplin nahmen (Apg 5:1-11; 8:20-24).

Die einzelnen Schritte der Gemeindedisziplin

Die Schrift zeigt uns deutlich, dass die Gemeindedisziplin sowohl in der Verantwortung der einzelnen Mitglieder als auch in der Verantwortung der Gemeindeleitung liegt. Das Vorgehen beschreibt Jesus in Mat 18,15-17. 

  • Zuerst muss ein Gespräch unter vier Augen mit dem fehlbaren Gemeindemitglied stattfinden. Dabei beobachten wir eine ganz starke Betonung auf der Demut und der Bereitschaft zur Vergebung seitens dessen, der zurechtweist (Mat 7:1-5; 18:21-35). Tadel kann immer nur im Bewusstsein der eigenen Schwachheit und Schuld vorgenommen werden. Jede andere Einstellung führt zur Überheblichkeit und übertriebener Härte. 
  • Wenn das persönliche Gespräch nichts fruchtet, müssen Zeugen hinzugezogen werden. Es darf nie zu einer Disziplinarmassnahme kommen, wenn nicht vorher andere Personen die Angelegenheit untersucht und bestätigt haben. Hier schiebt Gott einen deutlichen Riegel, der den Machtmissbrauch eines Einzelnen verhindert. Zu sehr könnten persönliche, rein subjektive Gründe, zu einem Fehlurteil führen.
  • Wenn auch diese Gespräche nicht zur Einsicht führen, soll die in Sünde verharrende Person durch die Gemeinde zurechtgewiesen werden. Der Zweck dabei ist nicht, den Überführten jetzt durch Mehrheitsbeschluss aus der Gemeinde zu verweisen. Die eigentliche Absicht ist vielmehr der Versuch, den Fehlbaren von seinem falschen Verhalten zur Umkehr zu bewegen. Er erhält also bereits zum dritten Mal die Gelegenheit, sein Fehlverhalten einzugestehen. Deshalb soll die gesamte Gemeinde zum Ausdruck bringen, dass sie sein Verhalten missbilligt. Der Täter soll erkennen, dass er in Opposition zur Gemeinde steht.
  • Als letzter Schritt bleibt nur noch der Ausschluss aus der Gemeinde. Viele wenden dagegen ein, dass sich diese Massnahme eigentlich nur kontraproduktiv auf den Disziplinierten auswirke könne, weil er doch zu seiner Gesundung die Gemeinschaft mit anderen Christen brauche. Der Ausschluss aus der Gemeinde als letzte disziplinarische Massnahme galt aber in der frühen Gemeinde als so hart, dass er durchaus eine heilende Wirkung auf den Disziplinierten hatte. Der Ausgeschlossene verspürte ein tatsächliches Manko in seinem Leben. Er sehnte sich so sehr nach der Gemeinschaft und nach dem lebendigen Geist in der Gemeinde, dass diese Massnahme ihn zur Umkehr führte. Wenn dies heute vielfach nicht mehr der Fall ist, so zeigt es uns in erschreckender Weise, wie sehr wir uns von einer Gemeinde entfernt haben, in der der Geist Gottes so sehr in jedem Winkel des Hauses und in jeder Faser des Lebens der Gemeindemitglieder zu spüren ist, dass ein Ausschluss aus dieser Gemeinschaft eine heilende Wirkung auf jeden Ausgeschlossenen besitzt. 

Wo ist Gemeindedisziplin angebracht?

Die verhängnisvolle Kategorisierung der Sünden durch die mittelalterliche Kirche wirkt bis heute in der Praxis unserer Gemeindedisziplin nach. Die damaligen sog. drei Todsünden, Glaubensabfall, Mord und Unzucht, gelten als die klassischen Fälle, in denen die Gemeinde disziplinarisch eingreifen muss. Dadurch wird aber eine grosse Bandbreite sündiger Verhaltensweisen als „Kavaliersdelikte“ unter den Tisch gefegt, für die das Neue Testament genauso die Gemeindezucht verlangt.

In den längsten Abschnitten, die das Problem der Gemeindedisziplin ansprechen, geht es nicht nur um Unzucht, Irrlehre oder andere offensichtliche Sünden, sondern auch um allgemeine moralische Abweichungen von der biblischen Ethik, die weniger erkennbar geschehen. Nachdem Paulus in 1. Kor 5,1-8 ausführliche Anordnungen betreffend dem Inzestfall in der Gemeinde übermittelt hat, schreibt er in 5:11: Vielmehr habe ich euch geschrieben: Ihr sollt nichts mit einem zu schaffen haben, der sich Bruder nennen lässt und ist ein Unzüchtiger oder ein Geiziger oder ein Götzendiener oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber; mit so einem sollt ihr auch nicht essen.“ Im Blickfeld des Apostels sind also nicht nur Unzüchtige, sondern alle, die ein Leben führen, das dem Leben im Geist widerspricht. In 2. Kor 12 u. 13, wo Paulus Gemeindezucht für alle ankündigt, die sich nicht von ihrer Sünde abgewandt haben, schliesst er auch „Streit, Eifersucht, Zorn, Selbstsüchteleien, Verleumdungen, bösartiges Gerede, Hochmut und Unordnungen“ mit ein (12:20; vgl. auch Gal 5,19-21). Natürlich beantwortet uns die Bibel die Frage nicht, wie habsüchtig, wie hochmütig, wie unordentlich, wie faul jemand sein muss, damit Korrektur angebracht ist, weil sie eben kein starres Gesetzbuch werden will. Aber sie gibt uns dennoch einen tiefen Eindruck in die moralische Verantwortung, die viel strenger ist, als sie die Gemeinde in der meisten Zeit ihrer späteren Geschichte praktizierte. 

Wir können uns nicht aus der Verantwortung ziehen. Gottes Segen liegt auf der Reinheit der Gemeinde, und diese Reinheit gilt es zu bewahren. Allerdings fordert dies von denen, die Gemeindedisziplin ausüben ein sehr grosses Mass an geistlicher Reife, Liebe, Einfühlungsvermögen und der Bereitschaft zur Vergebung. Wir können von anderen nur dann einen geistlichen Lebenswandel fordern, wenn wir selbst unser Leben voll und ganz unter die Herrschaft des Heiligen Geistes stellen. Nur unter seiner Führung sind wir auch fähig, die Korrektur zur richtigen Zeit und in der richtigen Weise anzubringen.

Möge Gott uns mit diesem Geist der Liebe und Vergebung, der zugleich auch der Geist der Wahrheit, der Heiligung und Ordnung ist, erfüllen.

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