Wir predigen Christus als den Gekreuzigten! (1. Kor 1,23a)
In einem englischen Dorf stand eine kleine Kapelle, deren Steinwände von Efeu bedeckt waren.
Über einem Torbogen konnte man einst in grossen Buchstaben lesen:
WIR PREDIGEN CHRISTUS ALS DEN GEKREUZIGTEN!
Da gab es eine Generation von treuen Christen, die exakt dies tat: sie verkündigte den stellvertretenden Tod des Christus in Raum und Zeit.
Aber die Zeiten änderten sich. Der Efeu wuchs und deckte die letzten drei Wörter zu. Die Inschrift lautete nun: WIR PREDIGEN CHRISTUS. Es kam eine andere Generation und predigte Christus: Christus das Vorbild; Christus, der gute Mensch; Christus, der ideale Lehrer; Christus, der Revolutionär…
Mit den Jahren wuchs der Efeu weiter, bis die Inschrift nur noch lautete: WIR PREDIGEN. Das tat dann auch die dritte Generation: Sie predigte Umweltschutz, Politik, Kultur und Philosophie, ja, sie verkündigte eigentlich alles, nur nicht Jesus Christus, der an einem römischen Kreuz sein Leben für diese verlorene Welt aushauchte.
„Ich schäme mich nicht, diese Heilsbotschaft von Christus überall weiterzusagen“, schreibt der Apostel Paulus (Römerbrief 1,16). Paulus ist durch und durch Evangelist. Der ganzen Welt will er die Rettung durch Jesus Christus verkündigen. So plant er eine Reise nach Rom, denkt aber schon an Spanien. Doch weshalb in aller Welt muss er der Gemeinde in Rom schreiben, dass er sich des Evangeliums, der guten Nachricht nicht schämt?
Die Antwort finden wir im 1. Korintherbrief: „Dass Jesus Christus am Kreuz für uns starb, muss freilich all denen, die verloren gehen, unsinnig erscheinen“ (1,18). Einige Verse später gesteht Paulus, dass die Juden diese Botschaft für einen Skandal halten; für die philosophischen Griechen ist es schlichtweg Unsinn! Welche Chance hatte die Geschichte von einem Gekreuzigten damals? Wer von einem Gekreuzigten sprach, machte sich doch überaus lächerlich. Das Kreuz galt zur Zeit der ersten Christen als die Schande schlechthin.
Der römische Rhetoriker und Jurist Cicero schreibt schon 63 v.Chr. über die Kreuzigung: „Denn all diese Dinge sind eines römischen Bürgers und freien Menschen unwürdig!“ Er schämt sich sogar, die Kreuzigung überhaupt zu erwähnen: „…was bleibt mir dann noch über den Tod am Kreuz zu sagen? Etwas so Schändliches entzieht sich jeder Beschreibung, weil es keine Beschreibung dafür gibt“.
Wegen ihrer Härte wurde die Kreuzigung deshalb auch nur gegen die Unterprivilegierten, den „Abschaum“ der Gesellschaft verhängt. Sie galt als die Sklavenstrafe. Die damalige Welt war sich einig: Die Kreuzigung ist die schrecklichste, erbärmlichste, und schändlichste Strafe.
Nach Lukian, dem Voltaire der Antike, müsste selbst der griechische Buchstabe Tau gekreuzigt werden, weil er aussieht, wie ein Kreuz und jeden anständigen Menschen an diese hässliche Todesart erinnert. Schon sehr früh wurde das Wort crucis (Kreuz) nur noch als vulgäres Schimpfwort im Munde von Sklaven und Prostituierten gebraucht. Ein Wort, das von Kindern bei Tisch nicht ausgesprochen werden durfte. Die Kreuzigung, das Kreuz war das Letzte, womit man sich beschäftigte.
Ausgerechnet diese hässliche, schmutzige, grausame Geschichte eines Gekreuzigten ist das Zentrum der Botschaft der Christen? „Wir predigen den gekreuzigten Christus! Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“, schreibt einer von ihnen (Paulus).
Diese Botschaft muss den Angesehenen und Gebildeten der damaligen Zeit wie ein Schlag ins Gesicht vorgekommen sein. Das hat doch nichts mehr mit der Ästhetik und Erhabenheit der Götter zu tun. Ein Gott, der am Kreuz stirbt, ist doch einfach lächerlich!
Der bereits erwähnte Lukian spottet deshalb über die Christen: „Diese armen Teufel verleugnen die griechischen Götter, verehren dafür aber jenen gekreuzigten Sophisten”. Der Platoniker Celsus schreibt ca. 150 n. Chr., “die Christen hätten besser getan, wenn sie sich um jemanden bemüht hätten, der ehrenhaft gestorben wäre und nicht auf diese erbarmungswürdige Weise, wie die von ihnen verehrte Person“. Und Celsus höhnt weiter: „Die griechischen Götter haben wenigstens lächelnd und unerschrocken ihre Strafen ertragen, ganz im Gegenteil zu jenem Jesus!“ Sicher, wenn Jesus wenigstens bei der Kreuzigung in den Himmel entrückt worden wäre, könnte er das noch stehen lassen, aber jämmerlich am Kreuz zu verenden – unvorstellbar! Der beissende Spott über die Botschaft der Christen wird auch in der Wandkritzelei einer römischen Sklavenschule in Rom sichtbar. Über der Inschrift “Alexamenos betet seinen Gott an” wird ein gekreuzigter Esel dargestellt. Nur der dümmste Esel kann einen Gekreuzigten als Gott anerkennen!
Die Kreuzigung Jesu: eine verrückte Geschichte? Ein Skandal, der nichts mit einem liebenden und allmächtigen Gott zu tun hat? Die gruseligste Botschaft, derer wir uns schämen müssen?
Nein! Diese, für unser menschliches Empfinden abscheuliche und grausame Tat ist der geniale Weg der Erlösung, den sich nur der souveräne und gütige Gott ausdenken konnte. Wie sehr muss Gott diese Welt lieben, dass er bereit war, seinen von Ewigkeit her geliebten und einzigen Sohn diesen erbärmlichsten und grausamsten Weg des Leidens gehen zu lassen, der jeder menschlichen Beschreibung spottet? Stellvertretend für uns nimmt Jesus, der Sohn Gottes, unsere verdiente Strafe auf sich und erleidet die Hölle für uns. Keine Schuld wird je so schwer sein, dass Jesus nicht schon dafür bezahlt hätte. Sollten wir uns dieser guten Botschaft schämen?